Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Viele Anleger halten den Aktienmarkt für überbewertet. Doch eine differenzierte Analyse zeigt, dass diese Annahme nicht immer zutrifft. Erfahren Sie, warum pauschale Urteile oft fehlleiten und welche Faktoren tatsächlich die Bewertung von Aktien beeinflussen.
Bekleidung ist über die Jahre immer teurer geworden. Diese Aussage würde man sofort bejahen, wenn man zum Beispiel in Frankfurt über die Goethestraße läuft. Das ist die Straße, in der die Modedesigner ansässig sind – von Chanel über Gucci und Prada bis hin zu Louis Vuitton. Hier sind die Preise in den vergangenen Jahrzehnten rasant gestiegen; erst als die Russen mit viel Geld alles leer kauften und später, als die Chinesen für dauerhafte Nachfrage und sogar Schlangen vor den Geschäften sorgten.
Trotzdem ist die Aussage so pauschal falsch. Denn nur wenige hundert Meter weiter, auf der Zeil, gibt es Primark. Wer dort Bekleidung kauft, reibt sich die Augen und stellt fest, dass es dort Jeans und die klassischen Standards zu Preisen gibt, die absolut gesehen sogar niedriger sind als vor Jahrzehnten – inflationsbereinigt noch deutlich billiger. Es ist also etwas komplizierter. Warum bemühe ich diesen Vergleich? Weil er derzeit auch gut auf den Aktienmarkt zutrifft.
Viele Aktien sind nicht teuer
Aktuell wird immer wieder darauf hingewiesen, dass vor allem US-Aktien teuer, also hoch bewertet seien. Doch wie bei Bekleidung lässt sich das bei näherer Betrachtung so pauschal nicht sagen. Richtig ist, dass vor allem die sogenannten Mega Caps, zu denen die berühmten „Magnificent Seven“ zählen, ziemlich hoch bewertet sind. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt bei rund 30.
US-Aktien insgesamt haben ein KGV von 22,8, während der Median bei knapp 16 liegt. Ohne die großen Technologiewerte beträgt das KGV hingegen nur 19,9. Auch das ist über dem Median von rund 15,5. Small Caps hingegen notieren in den USA derzeit nur auf ihrem Median von knapp 20. Schaut man sich die Small Caps in Europa an, dann liegen diese deutlich unter ihrem Median von gut 15, aktuell nur noch bei einem KGV von etwa 12. Diese Bewertungsunterschiede lassen in der nächsten Zeit unterschiedliche Kursentwicklungen erwarten. Fraglos werden alle Aktien eine überfällige Korrektur mitmachen, danach könnten jedoch Small Caps in den USA und Europa deutlich besser laufen.
Small Caps – kein Markt für ETFs
Goldman Sachs ist eigentlich eher für seinen Optimismus bekannt. Auch in diesem Jahr erwartet die Bank weiter steigende Kurse. Allerdings muss man sagen, dass der langfristige Blick der Investmentbank eher ernüchternd ist. Bezogen auf den S&P 500 rechnen die Experten von Goldman für die nächsten zehn Jahre nur noch mit einer Rendite von drei Prozent pro Jahr bei einer erwarteten Inflation von zwei Prozent. Das bedeutet nichts anderes, als dass real nur noch eine Rendite von einem Prozent pro Jahr erwartet wird. Das ist nicht besonders attraktiv.
Doch diese Prognose bezieht sich, wie erwähnt, auf den S&P 500. Hier sehen die Investmentbanker nur noch wenig Wachstumspotenzial, vor allem weil in den sehr großen Titeln bereits viel Wachstum eingepreist ist. Da deren Gewicht so hoch ist – die zehn größten Aktien machen mittlerweile 40 Prozent des Index aus – können sich diese Kurstreiber dann eben zu einer Bremse entwickeln. Das bedeutet aber auch, dass sich abseits der großen Indizes womöglich nach wie vor gute Aktienrenditen erzielen lassen.
Bei Small Caps allerdings muss genauer hingeschaut werden. Es gibt Gründe, warum dieses Marktsegment mittlerweile deutlich niedriger bewertet ist als große Aktien. Früher war dies umgekehrt. Technologische Disruption macht vielen Unternehmen zu schaffen. Aber unter den Tausenden Titeln gibt es auch Aktien, die ebenso wie die bekannten Qualitätstitel – die wir unter dem Begriff „Magnificent Seven“ in den USA oder „Granolas“ in Europa kennen – mit stabilen Wachstumsraten überzeugen. Sie sind gemessen am KGV oft nur halb so teuer.
Wer also bei Aktien mit Blick auf die großen Indizes derzeit ein mulmiges Gefühl bekommt, muss dem Aktienmarkt nicht den Rücken kehren. ETFs eignen sich allerdings im Small Cap-Segment nicht so gut – hier sollte man auf aktive Manager setzen. Wir bei Acatis haben zuletzt mit dem „Acatis Small Diamonds“ aufgrund der beschriebenen Konstellation noch einmal einen Small Cap-Fonds aufgelegt. Selbstverständlich gibt es auch von anderen Fondsgesellschaften gut gemanagte Fonds, die sich in diesem Segment bewegen.
Aktien bleiben also weiterhin die beste Geldanlage – aber wahrscheinlich nur fernab des aktuellen Mainstreams.